diesen Satz habe ich gehasst, weil ich ihn als Kind regelmäßig gehört habe. Von meinen älteren Geschwistern, den Lehrer:innen, meinen Eltern und anderen Erwachsenen: "Sei doch nicht so neugierig!" Ständig wollte ich Dinge wissen, die mich angeblich nichts angingen und für die ich noch zu klein war.
Umso mehr freue ich mich, dass Neugierde und Offenheit inzwischen zur Kernkompetenz geworden sind. Wer nicht über seinen Tellerrand hinaus blickt, tut sich schwer im vernetzten Denken, entwickelt sich nicht weiter und lässt Chancen aus.
Amtlich ist dies seit der jüngsten CEO-Studie der Personalberatung Egon Zehnder, für die mehr als 470 CEOs weltweit befragt wurden. Unter ihnen herrscht Einigkeit, dass Wissensdurst sogar ein Leadership-Skill ist: 99 Prozent der CEOs sind der Meinung, dass die Förderung von Neugier und Offenheit in ihren Unternehmen entscheidend sein wird, um die anstehenden Herausforderungen unter zunehmender Komplexität zu meistern.
Die Harvard Business School ist vor zwei Jahren zu einem Ergebnis gekommen, das nicht ganz so eindeutig war. Bei einer Befragung unter 1.500 Führungskräften zu den Top-Fähigkeiten im Zuge der digitalen Transformation landete Wissensdurst nur auf dem zweiten Rang: Anpassungsfähigkeit wurde am häufigsten genannt (71%), gefolgt von Neugier (48%), Kreativität (47%) und der Sicherheit im Umgang mit Ambiguitäten (43%).
Um die Fähigkeit zur Neugier auszuloten - und hier geht es selbstredend nicht um den Spaß am Gossip oder obsessive Neugier -, nutzen manche Unternehmen sogar Test-Tools bei der Auswahl von Bewerber:innen. Google hat sich schon vor Jahren ein Mathe-Rätsel ausgedacht, um neugierige und lösungsorientierte Software-Entwickler:innen ausfindig zu machen. Das Unternehmen platzierte Plakate mit der kryptischen Aufschrift "{first 10-digit prime found in consecutive digits of e}.com” an verschiedenen Orten im Silicon Valley - ganz ohne Branding oder Kontaktinfo. Die, die hartnäckig genug waren, stießen auf die URL 7427466391.com - wo sich ein weiteres Rätsel verbarg. Wer auch dies bewältigte, erhielt die Aufforderung, einen Lebenslauf hochzuladen.
Dieses Beispiel zeigt, dass Neugier alleine selten ans Ziel führt. Doch in Kombination mit anderen Skills und Tugenden ist sie essentiell, um überhaupt Neues zu erfahren und Lösungen zu entwickeln. Deswegen - liebe erfahrenen und routinierten Menschen: Stellt viele Fragen und seid unbedingt neugierig!
Bleibt die Frage: Kann man Neugier lernen?
Veranlagung spielt - wie bei allen Skills - auch hier eine Rolle. Doch tatsächlich kann man es üben, neugierig zu bleiben:
Versuch’ mal nicht als Expert:in zu glänzen, sondern als Anfänger:in. Such dir ein Thema, das du nicht beherrschst, und mache es dir zu eigen. Egal, ob es sich um Töpfern oder Kryptowährung handelt: Genieße es, bei Null anzufangen und zu wachsen.
Nicht im Theater, sondern in deinem Leben. Mit zunehmendem Alter wird es schwieriger, Dinge zum ersten Mal zu tun. Ich bin jedoch ein lebender Beweis dafür, dass es funktioniert. Der Besuch eines Klettersteigs, der Start einer Fortbildung, die Umstellung von Windows zum Mac - oder umgekehrt: Suche bewusst Premieren-Momente und feiere sie, wenn sie gelingen.
Kleine Kinder stellen bis zu 400 Fragen am Tag. Im Erwachsenenalter sinkt diese Zahl deutlich ab - manche Quellen sprechen von 25 bis 30 Fragen pro Tag. Der Grund: Wir haben es gelernt, Antworten zu geben - und vergessen darüber die Fragen. Das Dumme ist nur: Wer nichts in Frage stellt, kommt selten zu neuen Erkenntnissen.
Wenn du im Urlaub bislang Typ Spanien oder Griechenland warst, versuch's mal mit Südtirol oder einer Fahrradtour am Bodensee. Neue Perspektiven können Wunder wirken und für Dinge sensibilisieren, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass sie existieren.
Nicht, um dich selbst zu kasteien, sondern um daraus zu lernen. Wer Neues wagt, macht zwangsläufig Fehler. Je schneller wir akzeptieren, dass sie zum persönlichen Wachstum dazugehören, desto natürlicher wird der Umgang mit ihnen.
In diesem Sinne: Bleib bitte neugierig!
Herzliche Grüße
Stefanie
Hamburg Media School
Continuing & Executive Education
Stefanie Bilen